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Die Eurokrise, national befreite Zonen und die “Alternative für Deutschland”

„Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum unser ganzes Geld nach Griechenland geht und nicht in unsere kaputten Straßen und Brücken? Haben Sie sich eigentlich schon einmal gefragt warum unsere Renten vorn und hinten nicht mehr reichen, während wir immer mehr Geld an bankrotte Länder überweisen?“

aus dem Wahlwerbespot der „Alternative für Deutschland“ (AFD)

eurokriseMit solcherlei braunen Statements kommt die AFD beim deutschen Wähler gut an. Deutschlands Straßen und Brücken haben Priorität für die „freie Fahrt“ der „freien Bürger„. Was interessiert den deutschen Citoyen schon die Not der Griechen?  Die Kernforderung der AFD ist die Auflösung des Euro-Währungsgebietes und die Wiedereinführung nationaler Währungen oder die Schaffung kleinerer und stabilerer Währungsverbünde, etwa den „Nord-Euro“ und den „Süd-Euro“. In vielen „national befreiten Zonen“ plakatierte die AFD gegen eine angebliche „Zuwanderung in die Sozialsysteme“ und am Wahlabend sprach Parteichef Lucke von „Entartungen von Demokratie„. Bemerkenswert sind die von Sarah Wagenknecht reklamierten Übereinstimmungen zwischen AFD und Linkspartei. Entsteht da gar eine neue Querfront? So meinte etwa die stellvertretende Vorsitzende der Linkspartei über die neuen „Euro-Rebellen“: Die AFD hat in vielen Punkten recht. Den Einzug in den Bundestag verpasste die im Februar 2013 gegründete  „Euro-kritische“  AFD mit 4,7 Prozent denkbar knapp, was nichts an dem Umstand ändert, dass die anhaltende Krise in Europa nationalistischen und neonazisti­schen Tendenzen steigenden Auftrieb verschafft.

Um die aktuelle Euro- und Schuldenkrise zu begreifen ist ein kurzer Blick auf die letzten Jahrzehnte nötig. Mit dem Auslaufen des fordistischen Nachkriegsbooms Ende der siebziger Jahre und dem Rationalisierungsschub der Mikroelektronik war es mit dem realwirtschaftlichen Aufschwung endgültig vorbei. Die schnell entstehende Massenarbeitslosigkeit durch die Überakkumulationskrise Mitte der 1970er Jahre konnte durch keynesianische Regulation nicht gelindert werden. So führte die keynesianische Politik zu teilweise zweistelligen Inflationsraten. Die zunehmende Liberalisierung und die monetaristische Politik der Neoliberalen boten den scheinbaren Ausweg. Mit dem Zusammenbruch des „real existierenden Sozialismus“ fühlten sich die Protagonisten in ihrer neoliberalen Politik fulminant bestätigt.

Seit nun mehr als dreißig Jahren wird die Weltwirtschaft nur noch durch staatliches wie privates Schuldenmachen in Gang gehalten. In den führenden westlichen Industrienationen wurde die Staatsverschuldung massiv vorangetrieben, wie beispielsweise der exzessive Rüstungskeynesianismus des US-Präsidenten Reagan Mitte der 1980er Jahre belegt. Den USA droht nun die Staatspleite. In diesem Oktober werden die USA die Schuldengrenze von 16,7 Billionen Dollar, etwa 12,5 Billionen Euro erreichen, das sind 108 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) der USA. Zum Vergleich: Die Verschuldung von Spanien liegt bei 92 Prozent, von Griechenland bei 182 Prozent und die von Deutschland bei rund 83 Prozent des BIP. Die Deregulation des Finanzsektors, in Deutschland durch die rot-grüne Regierung, erweiterte zudem die Möglichkeiten zur kreditären Geldschöpfung. Durch die Verlagerung großer Geldmengen vom Massenkonsum und der Realwirtschaft in den Finanzsektor verschwand umgehend die Inflation.

Im Jahre 2008 markierte der Finanzcrash im Gefolge der Lehman-Pleite das Ende einer Immobilienblase in den USA und einigen europäischen Staaten wie Spanien und Irland. Alle Beteiligten versuchten ihre Außenstände einzutreiben um wieder liquide zu werden. Das führte bei mangelnder Kreditbereitschaft der Banken zu Zahlungsausfällen und zu einer Schuldenkrise, die in vielen Staaten die Wirtschaftsleistung einbrechen ließ. Nun kam es zu den berüchtigten Sparauflagen des internationalem Währungsfond und der Europäischer Zentralbank für die hoch verschuldeten Volkswirtschaften was sehr schnell zum Einbruch der jeweiligen Binnennachfrage führte, die wiederum eine Arbeitslosenquote um die 25 Prozent in Griechenland, Spanien und anderen Südländern zur Folge hatte.

Im „finanzgetriebenen Kapitalismus“ des 21. Jahrhunderts wird also die Realwirtschaft durch Schulden finanziert und in Gang gehalten. Dieser Defizitkreislauf funktioniert folgendermaßen: Deutschland beispielsweise gewährt Griechenland einen Kredit, den Griechenland dazu verwendet, die von Deutschland produzierten Waren zu kaufen, wodurch das Geld wieder an Deutschland zurückfließt, das Deutschland dann erneut an Griechenland verleihen kann. Dabei bilden Staaten wie Deutschland mit ihren Banken eine Art Syndikat über das Stefan Frank in „Kreditinferno: Ewige Schuldenkrise und monetäres Chaos“ schreibt: „Sie sind beide bankrott, aber sie tun so, als hätte einer von ihnen Geld, dass er dem anderen leihen kann – damit die Bürger nicht rebellieren. Immer wieder werden Euros nachgedruckt, immer mehr.“ Der „finanzgetriebene Kapitalismus“ kommt  zum Stillstand, sobald die Gläubiger den begründeten Verdacht haben, ihre Schuldner könnten ihre Schulden nicht mehr zurückzahlen. Seit dem Crash von 2008 nimmt dieser „begründete“ Verdacht weltweite Ausmaße an. Um das System vor dem völligen Zusammenbruch zu retten, müssen Staaten und Banken die Schulden übernehmen und zudem  gigantische Konjunkturprogramme auflegen um eine Depression zu verhindern. Der vielfach gescholtene „finanzgetriebene Kapitalismus“ hat nun mehr als dreißig Jahre lang die Weltwirtschaft am Laufen gehalten. In der aktuellen kapitalistischen Krise stehen die Politiker Europas vor der Alternative: Kaputtsparen oder Staatsbankrott.

Was geschähe in dem von der AFD geforderten Szenario, der Wiedereinführung nationaler Währungen in Europa? Länder wie Griechenland hätten nicht die geringste Chance auch nur einen Bruchteil ihrer Schulden zurückzubezahlen und damit wären weitere dringende Kredite mittels Staatsanleihen utopisch. Die Folge wären soziale Verwerfungen, die in keiner Weise mit der derzeitigen sozialen Not in Griechenland und anderswo vergleichbar wären. Die neue deutsche Regierung, egal ob sie  schwarz-grün oder schwarz-rot aussieht, wird einen neuen gigantischen Rettungsschirm initiieren und durchsetzen. Die deutsche Wirtschaft gehört zu den Gewinnern der Krise, doch die Freude in diesen Kreisen ist getrübt, denn wer schließlich soll in den immer weniger und immer kleiner werdenden Inseln kapitalistischer Prosperität deren Produkte noch abkaufen? “ Dazu schrieb Claus Peter Ortlieb vor einigen Monaten in Konkret:  „Wenn alle denjenigen folgen, die zuletzt erfolgreich waren, ist der weitere Krisenverlauf vorgezeichnet: Da Erfolg in der Standortkonkurrenz heißt, zu den wenigen zu gehören, die ihre Produkte exportieren können, müssen vor Ort die Kosten gedrückt werden, insbesondere diejenigen für solchen Luxus wie die Versorgung von Kranken, Alten und anderen Kostgängern, die zum wirtschaftlichen Erfolg keinen Beitrag leisten. Der Kampf um Wettbewerbsfähigkeit kann so nur zu einer weiteren Abwärtsspirale führen, die übrigens längst in Gang gekommen ist.“ Deutschland ist innerhalb der EU das einzige Land in dem die Reallöhne zwischen 2000 und 2008 sanken, was ein wichtiger Grund für den Außenhandelsüberschuss Deutschlands ist.

Das Niederkonkurrieren im Euro-Raum, bisher die oberste deutsche Maxime, führte das Euro-Projekt an den Rand des Abgrunds. Die militärischen Varianten der keynsianischen Konjunkturpolitik scheinen nicht mehr finanzierbar zu sein.  Der Krieg im Irak von 2003 bis 2013 kostete die USA 812,6 Milliarden Dollar, der in Afghanistan 643,4 Milliarden. Die mit Billionen aufgeblasene Geldmenge, die hoffnungslos verschuldeten Staaten werden irgendwann eine Währungsreform „alternativlos“ werden lassen. Diese Währungsreform wird anders aussehen als  AFD inklusive Anhänger sich diese vorstellen. Die nächste Währungsreform wird vermutlich das gesamte nicht in Immobilien oder Produktionsmitteln steckende Kapital entwerten müssen. Alle Derivate, Zertifikate und die anderen Kettenbriefe werden im nächstgelegenen  Blockheizkraftwerk amortisiert und jeder Einwohner wird mit einem einmaligen Startgeld von sagen wir 1000 Reform-Euro an den Start gehen. Das Risiko, dass die Massen sich das nicht gefallen lassen wird eingegangen. Gewisse politische Entscheidungen sind alternativlos, wie einst eine „mächtige“ deutsche Politikerin, die Namensgeberin der AFD anmahnte. Die knapp an der Fünfprozenthürde gescheiterte AFD vermeldet übrigens Anfragen von arbeitslosen FDP-Mitgliedern bezüglich eines lukrativen Übertritts. Bewerbungen von Politikern der Linkspartei bei der AFD sind bislang nicht überliefert.

Erstveröffentlichung in Mission Impossible:

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Das Kapital ist ein scheues Reh

Der chinesische Premierminister Wen Jiabaohatte kürzlich finanzielle Hilfe für den Europäischen Rettungsschirm in Aussicht gestellt. Die Europäer müssten verstärkte Anstrengungen unternehmen und nötige Reformen ihrer Haushalts- und Finanzpolitik einleiten, machte der Politiker der Kommunistischen Partei Chinas deutlich. Wie vehement Wen Jiabao hinter verschlossenen Türen Angela Merkel angemahnt hat die Menschenrechte in Griechenland einzuhalten ist schwer abschätzbar. Nicht nur das Betteln bei den Chinesen zeigt deutlich in welch existenzieller Krise sich der Kapitalismus befindet. So gut wie alle großen Wirtschaftsnationen sind hoffnungslos verschuldet. Nach Argentinien konnten auch Irland, Portugal und nun Griechenland nicht mehr ihre Schulden bedienen. Spätestens seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion verhält sich der Kapitalismus geradezu vulgärmarxistisch, weshalb weltweit die Betroffenen gegen die negativen Auswirkungen der  „Freien Marktwirtschaft“ protestieren.  Eine emanzipatorische Kapitalismuskritik sollte sich freilich mit dem kapitalistischen Produktionsprozess, den Zwangsgesetzen der Konkurrenz, der Zirkulation des Kapitals, den Krisenzyklen, dem Verhältnis von Arbeit, Wert und Geld beschäftigen und die Folgen des Marktes erkennen. Fortschrittliche Kapitalismuskritik muss sich gegen staats- und nationalstaatsfixiertes  Denken erwehren und sie muss die regressive Pseudo-Kapitalismuskritik selbst zum Gegenstand ihrer Kritik machen.

Auf der Basis von Ware, Wert, Arbeit und Markt hat sich im Laufe der Geschichte die heute weltweit dominierende Produktions- und Lebensweise herausgebildet. Der fortwährende Zwang zur Kapitalverwertung, zum unendlichem Wirtschaftswachstum , mit mörderischer Konkurrenz, dem Profitstreben und dem Zwang für die meisten Menschen nur durch den Verkauf ihrer Arbeitskraft überleben zu können, haben zur Folge, dass „nur die Stärksten überleben”. Einerseits produziert das kapitalistische Wirtschaftssystem mit den Gesetzen des Marktes faszinierende Smartphones, hochtechnisierte Autos, Wohlstand und Reichtum,  jedoch andererseits Massenvernichtungswaffen, Hunger, Elend, Krieg und Schuldenkrisen. Während in der kapitalistisch organisierten  Welt eine Milliarde Menschen hungern, können es sich Durchschnittseuropäer leisten mehrmals im Jahr Fernreisen zu unternehmen.  Während ein Zimmermädchen in einem Hamburger Hotel 2,46 Euro brutto in der Stunde verdient, kassiert dasselbe Hotel für eine Suite 349 Euro pro Nacht. Während die Zerstörung der Umwelt voranschreitet, bestimmte Gebiete für Jahrhunderte radioaktiv verstrahlt sind werden nach wie vor Atomkraftwerke betrieben und gebaut. Während weltweit täglich 25.000 Kinder verhungern landen in Deutschland jährlich 20 Millionen Tonnen Lebensmittel auf dem Müll und werden in den Industrieländern Mais und Raps zu Biodiesel verarbeitet. Die Schere zwischen arm und reich klafft immer weiter auseinander, zwischen den Industrienationen und den Ländern der 3. Welt, zwischen dem Harz-4 Empfänger und der „BMW-Familie“ Quandt. Einerseits gab es in Deutschland durch Mikroelektronik, Rationalisierung und Automation einen kaum vorstellbaren Produktivitätsschub, andererseits hat sich die Lebensarbeitszeit deshalb nicht verkürzt sondern im Gegenteil verlängert. Bei einer immer höheren realen Arbeitslosenquote muss heute ein Dreißigjähriger damit rechnen erst mit siebzig Jahren in Rente gehen zu können. Die systemimmanenten „Konstruktionsfehler“ des Kapitalismus sind die Ursache für die großen und kleinen Krisen im Kapitalismus, in dessen kurzen Aufschwüngen sich Wenige große Profite aneignen und in den längeren Abschwüngen die Verluste vergesellschaftet werden.

Die kapitalistischen Krisen sind von zyklischer Natur, sie gehören quasi zur „Normalität“ kapitalistischer Entwicklung. Marx hat den tendenziellen Fall der Durchschnittsprofitrate systematisch im Kontext des Gesamtreproduktionsprozesses des Kapitals untersucht und auf diese Weise die zyklisch wiederkehrenden Krisen als Ausdruck der Akkumulationsdynamik einer kapitalistischen Gesellschaft, als Folge der Überakkumulation des Kapitals und der fallenden Profitrate erklären können. Bei einer  Steigerung der Arbeitsproduktivität durch Automatisierung, Rationalisierung, Arbeitszeiterhöhungen, unbezahlten Überstunden, Billiglohnkräften benötigt die Produktion immer weniger Arbeitskräfte, wodurch die Arbeitslosigkeit steigt und gleichzeitig die Kaufkraft sinkt, worauf  die Hersteller im gesättigten Markt immer weniger Produkte verkaufen können. In der Überproduktionskrise produzieren also immer weniger Arbeitskräfte immer mehr Waren die sich immer weniger leisten können. Für das Kapital bleibt nur der Export in andere Länder, weshalb immer neue Märkte, notfalls mit Gewalt, erschlossen werden müssen. Eine gewisse Zeit können sich diese Länder diese Produkte leisten, über kurz oder lang müssen sie sich verschulden. Die Überproduktionskrise ist eine periodisch wiederkehrende Wirtschaftskrise im Kapitalismus, mit Milchseen, Butterbergen, Autohalden und Abwrackprämien als sichtbare Indikatoren. Seit mehr als 30 Jahren, also nach dem Zusammenbruch von Bretton-Woods ist der Neoliberalismus auf dem Vormarsch. Mitte der 1970er Jahre neigte sich der  fordistische Nachkriegsboom seinem Ende zu. Durch Automation  und Mikroelektronik steigerte sich die Produktivität massiv, die Menge der Waren explodierte, die der benötigten Arbeit implodierte. Alle Konjunkturprogramme, alle Staatsinterventionen und jede keynesianistische Regulation konnte den realökonomischen Widerspruch nicht aus der Welt schaffen. „Erst die zunehmende Liberalisierung der Finanzmärkte und die monetaristische Politik der Neoliberalen boten einen Ausweg. Das Kapital, das in der Realwirtschaft keine rentable Anlagemöglichkeit mehr fand, konnte in die Sphäre des fiktiven Kapitals ausweichen. Die Krise wurde aufgeschoben, und der Neoliberalismus wurde zum weltweit hegemonialen Programm. Die Implosion des sogenannten Realsozialismus bescherte ihm einen zusätzlichen Legitimierungsschub und beflügelte die Akteure des Sozialabbaus. Doch der Übergang zum »Shareholderkapitalismus« der neunziger Jahre war nur die Eskalationsstufe eines Prozesses, der bereits in den Siebzigern begonnen hatte: Das fiktive Kapital wurde zur »Basisindustrie« des Verwertungsprozesses. Und im Platzen der Finanzblase wird nichts anderes sichtbar als das verdrängte und kumulierte Krisenpotential von drei Jahrzehnten“, schreibt Lothar Galow-Bergemann in Konkret 12/2008. Kapitalismus ohne Streben nach Maximalprofit und ohne fiktives Kapital war und ist undenkbar. Die so genannte Realwirtschaft und Finanzsphäre können nur zusammen gedacht, kritisiert und überwunden werden. Die aktuelle Schulden- und Eurokrise, die Bankenkrisen haben ihre Ursache in den grundlegenden „Konstruktionsfehlern“ des Kapitalismus. Der Neoliberalismus  war also die Reaktion auf die Schwächung kapitalistischer Herrschaftsansprüche während des Fordismus. Arbeitnehmerinteressen wurden zurückgedrängt, staatliche Unternehmen privatisiert sowie eine Umverteilung von unten nach oben intensiviert.

Herbert Marcuse schrieb in „Der eindimensionale Mensch“: “Auf der gegenwärtigen Stufe des fortgeschrittenen Kapitalismus widersetzt sich die organisierte Arbeiterschaft mit Recht der Automation ohne Ausgleichsbeschäftigung. Sie besteht auf der extensiven Nutzung menschlicher Arbeitskraft in der materiellen Produktion und widersetzt sich so dem technischen Fortschritt. Indem sie dies tut, widersetzt sie sich jedoch auch der ergiebigeren Nutzung des Kapitals. Mit anderen Worten, ein weiterer Aufschub der Automation kann die nationale und internationale Konkurrenzfähigkeit des Kapitals schwächen, eine langfristige Depression verursachen und folglich den Konflikt der Klasseninteressen wiederaufleben lassen.“

Nach dem Vorbild des Ökonomen John Maynard Keynes versuchten und versuchen Regierungen unterschiedlichster Couleur mit gepumptem Geld die Abschwünge zu bremsen in der irrigen Hoffnung  im Aufschwung das Geld wieder zurückzubekommen. Die aktuellen weltweiten Schuldenkrisen sind ein Resultat dieser Politik. Während immer mehr erfolglose Unternehmer vom Staat Geld haben wollen explodieren die Staatsschulden. Weil Staaten nichts produzieren, haben sie kein Kapital, sie können kein Kapital schaffen, sondern lediglich das vorhandene umverteilen. Natürlich muss irgendjemand all diese unsinnigen Staatsausgaben bezahlen. Bis dahin leiht sich der Staat das Geld an den Kapitalmärkten. Laut Keynes steigt die Wirtschaftsleistung um deutlich mehr als einen Euro, für jeden Euro, den der Staat ausgibt, was niemals bewiesen werden konnte. Die Theorien von Keynes, die diversen Politikern, Ökonomen und Journalisten als Heilsbringung dienen, beruhen auf dem Irrglauben an Zauberei. Keynes war im Übrigen der  Ansicht, dass Kriege, Erdbeben und der Bau von Pyramiden den Wohlstand eines Landes steigern könnten.

Im Gegensatz zu Keynes waren die nationalsozialistischen und die heutigen rechtsextremen  Kapitalismuskritiker davon überzeugt, dass mit der Brechung der Zinsknechtschaft, der Verstaatlichung der Banken und der Abschaffung des Zinses alle „Probleme“ des Kapitalismus beseitigt wären. Als  Hitler 1940 auf dem Höhepunkt seiner  Macht, die Zustimmung der Deutschen zu Hitlers Politik so groß wie nie zuvor war, kam der Propagandafilm Jud Süß in die deutschen Kinos. Die 19 Millionen Besucher von „Jud Süß“ wurden nicht gezwungen diesen Film anzusehen, sie wollten den Film sehen weil sie entsprechend fühlten und dachten. Der antisemitische  Propagandafilm spielt am Hofe des Königs von Württemberg. Dieser König kam in zunehmende Finanzschwierigkeiten und stellt sich den jüdischen Finanzberater Joseph Süß ein. Der geldgierige Joseph Süß, in dem Veit Harlan-Film, ein verschlagener hochraffinierter Jude der alle Finanztricks beherrscht, rettet den König in dem er mit seinen Tricks die Bevölkerung ausbeutet und dadurch immer mächtiger und einflussreicher wird. Das Geld wird der Masse der ehrlich arbeitenden Bevölkerung genommen. Es kommt dadurch zu sozialer Verelendung und zu Massendemonstrationen. Das Gegenbild zu der jüdischen Raffgier ist in dem Film die ehrliche deutsche Arbeit, die durch den Schmied mit seiner züchtigen Hausfrau symbolisiert und dessen Haus durch die  Finanzpolitik von Jud Süß zerstört wird. Der Widerstand der Bevölkerung wächst. Der gute ehrlich arbeitende Held mobilisiert die Massen und bringt die Wende. In der Schlüsselszene des Films ruft er den Massen zu: “Wie die Heuschrecken fallen sie über uns her“.  Nachdem der Jude gehängt wird, entspannt sich die Lage und die Menschen haben wieder eine glückliche Zukunft vor sich. Die Heuschreckenmetapher verwandte Alfred Rosenberg im „Völkischer Beobachter“ bereits am 29. Mai 1921: „Aber schon sehr bald zeigte es sich, dass alle Anlockungen durch Vorzugsrechte nicht recht anschlugen, dass der größte Schwarm der jüdischen Heuschrecken nach Amerika zog, der andere, nach Palästina abgefahrene Teil aber nicht recht arbeiten wollte, sondern von den Millionen zu zehren vorzog, die jüdische Milliardäre zur Organisation Palästinas ausgeworfen hatten“. Einige Jahrzehnte später bemühte Franz Müntefering, nachdem die Rot-Grüne Regierung die Deregulierung der Kapitalmärkte massiv fortgesetzt hat, die Heuschrecken-Metapher um gegen Hedgefonds und das Finanzkapital zu agitieren. Ver.di nahm ebenfalls das Bild der Heuschrecke auf und gab ein entsprechendes Flugblatt heraus, das allerdings nach großen Protesten innerhalb der Gewerkschaft zurückgezogen wurde. Ein Prozent der Menschheit ist für die Occupy-Bewegung  an der Krise schuld, ein Prozent bereichert sich auf geheimnisvolle Weise an der Arbeit aller anderen, ein Prozent kontrolliert Regierungen und sorgt für böse Kredite, Zinsen  und Schulden. Die Nazis sprachen von “Zinsknechtschaft” und Jürgen Elsässer  spricht heute bei Occupy-Veranstaltungen von “Schuldknechtschaft”. Müntefering, die IG Metall und der überwiegende Teil der Occupy-Bewegung sind keine Nazis, aber ihre verkürzte, personalisierte Kritik am Kapitalismus ist gefährlich, denn wenn vermeintlich einige Wenige das Elend der Vielen verursachten, dann ist es bis zum Schritt der Eliminierung der „Bösen“ nicht mehr weit.

Max Horkheimer kritisierte die „Bürgerliche Gesellschaft“ mit ihren ökonomischen Gegensätzen, ideologischen Widersprüchen und sozialen Ungerechtigkeiten. Für Horkheimer war der Zusammenhang zwischen Kapitalismus und der Entstehung des Faschismus offensichtlich: Als eine Reaktion auf die Krise des Kapitalismus versuche der Faschismus, den Kapitalismus mit despotischen Mitteln aufrechtzuerhalten. Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs formulierte Horkheimer:„Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen“

Eine wichtige Ursache für die heutige Krise ist aus meiner Sicht das Auslaufen des Nachkriegsbooms vor über 30 Jahren. Durch die Gesetze des Marktes, also dem Verwertungsdruck kam es zur Flucht ins fiktive Kapital und durch die Überproduktionskrisen in diesen Jahren und den „notwendigen“ keynsianistischen Programmen kam es zur Verschuldung der diversen Staaten. Es besteht ein Zusammenhang zwischen der Schuldenkrise Griechenlands und dem Umstand dass Deutschland Exportweltmeister ist, ein Zusammenhang der mit kommunizierenden Röhren vergleichbar ist. Die Frage nach den  Alternativen zum Kapitalismus ist seriös kaum zu beantworten. Freilich den Selbstzerstörungskräften der freien Marktwirtschaft ungebremst ihren Lauf zu lassen, dürfte genauso der falsche Lösungsansatz sein, wie wenigen „Sündenböcken“ die Schuld für die Krisen in die Schuhe zu schieben. Wohin verkürzte Kapitalismuskritik führen kann, welche  Andockmöglichkeiten von rechts sie birgt, liegt auf der Hand. Verbesserte Rahmenbedingungen für genossenschaftliche Unternehmen, ein bedeutend höherer Spitzensteuersatz, höhere Löhne, ein Mindestlohn und eine signifikante Arbeitszeitverkürzung, würden zwar den Wirtschaftsstandort Deutschland, seinen Status des Exportweltmeisters minimal gefährden, wären aus meiner Sicht jedoch Schritte in eine richtige Richtung. Meine Prognose für die Zukunft ist wenig optimistisch: Das kapitalistische System ist zweifellos in seiner größten Krisen, die Zustände in Griechenland geben einen ersten Eindruck wie es in Europa weitergehen dürfte. Weil keynesianistische Politik hat noch nie funktioniert hat, wird Kapital vernichtet werden müssen. Die Herrschenden werden vermutlich versuchen einen großen Krieg  zu verhindern, es bleibt also nur die große Euro-Währungsreform, bei der allerdings die Schwächsten noch schwächer werden dürften.  Recht zu haben, nützt freilich dem wirtschaftlich privilegierten Kritiker des Kapitalismus nicht wirklich, denn auch er ist, wie die Adepten der freien Marktwirtschaft, von den Auswirkungen einer möglichen Euro-Währungsreform betroffen, denn wer privilegiert ist, hat auch etwas zu verlieren und das ist das Dilemma.

Quellen: Stefan Frank – Die Weltvernichtungsmaschine, Michael Heinrich – Kritik der politischen Ökonomie, Elmar Altvater – Das Ende des Kapitalismus, Georg Fülbert – G Strich, Robert Kurz- Schwarzbuch Kapitalismus, Lothar Galow-Bergemann –  Konkret 2007/12 & 2008/12, Herbert Marcuse – Der eindimensionale Mensch

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