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Georges Sorel, Benito Mussolini und die Entstehung der faschistischen Ideologie

„Wenngleich sich die faschistische Ideologie nicht als einfache Reaktion auf den Marxismus bezeichnen lässt, so entstand sie doch als unmittelbares Ergebnis einer spezifischen Marxismusrevision. Das vorliegende Buch will diese antimaterialistische und antirationalistische Revision untersuchen. Denn die Kristallisation der Grundidee des Faschismus, seiner Philosophie und Mythologie, bleibt unverständlich, wenn man sie nicht auch als eine Revolte gegen den Materialismus begreift.“ (Zeev Sternhell)

sorelmus

Von allen großen Ideologien des 20. Jahrhunderts ist die faschistische die einzige die in diesem Jahrhundert geboren wurde. Als dritter Weg zwischen Liberalismus und marxistischem Sozialismus bot er  die vermeintliche Lösung für die Probleme der europäischen Gesellschaften dieser Epoche an. Faschismus war die Selbstbezeichnung der von Benito Mussolini gegründeten rechtsgerichteten Bewegung, die Italien unter von 1922 bis 1943 beherrschte. Wesentliche Elemente des Faschismus sind Nationalismus, Führerkult, Antikommunismus, Gewaltverherrlichung, Militarismus, ein korporatives Wirtschaftsmodell und extremste Parteienkritik. Ideengeber und großes Vorbild für Mussolini war der französische  Sozialphilosoph Georges Sorel.

Georges Eugène Sorel (1847-1922) war ein Vordenker des Syndikalismus und ein entschiedener Gegner der liberalen Demokratie, der Gewalt als positives Element begriff weil sie angeblich der Gesellschaft  verlorene Kraft zurückgebe. Sorel hat die bürgerliche Gesellschaft immer verabscheut, ihre geistigen, moralischen und politischen Werte, ebenso den kartesianischen Rationalismus, den Optimismus, den Utilitarismus, den Positivismus und den Intellektualismus, die Naturrechtsphilosophie und die Errungenschaften der Aufklärung, die um die Jahrhundertwende allgemein mit der liberalen Demokratie in Verbindung gebracht wurden. Sorel bezog sich auf den Anarchismus und die Gedanken von Pierre-Joseph Proudhon (1809-1865) und von Karl Marx (1818 – 1883) übernahm er die Idee des Klassenkampfes. Die marxistische Kritik am Kapitalismus lehnte Sorel entschieden ab, er plädierte für das Recht auf Eigentum und für eine freie Marktwirtschaft.  Sorel, der von je her von den Mythen der Kulturgeschichte  fasziniert war,  veränderte den Marxismus mit gröbster Simplifikation. Seine Kritik an der parlamentarischen Demokratie ging kaum über das Niveau von Beschimpfungen hinaus. Einerseits glaubte Sorel, dass osteuropäische Juden Ritualmorde an christlichen Kindern begingen und andererseits unterschrieb er eine Petition in der die Revision des Fehlurteils gegen Alfred Dreyfus gefordert wurde. Seine antimaterialistische Marxismusrevision verband er mit der Theorie des Heldenmythos und der Gewalt als Erzeuger von Moral und Tugend. In seiner Abhandlung aus dem Jahre 1908 „Über die Gewalt“ stellte er Gewalt als reinigenden Akt der Selbsterschaffung gegen die Dekadenz der bürgerlichen Gesellschaft dar. Beeinflusst war Sorel außerdem vom deutschen Sozialdemokraten und Soziologen Robert Michels (1876 – 1936), einem der bedeutendsten politiksoziologischen Parteienkritiker des 20. Jahrhunderts. Michels wechselte 1907 nach Italien, wandte sich dem Syndikalismus und später dem Faschismus zu. 1928 errichtete ihm Mussolini einen Lehrstuhl in Perugia um die Theorie des Faschismus weiterzuentwickeln.

Die ersten beiden Jahrzehnte im 20. Jahrhundert Italiens waren geprägt von inneren Kämpfen der Sozialistischen Partei Italiens (PSI) mit dem Resultat verschiedener Abspaltungen. Innerhalb der Sozialistischen Partei gründete 1902 eine Gruppe um Arturo Labriola eine Fraktion, die den Anspruch erhob ihr revolutionärer Flügel zu sein. Diese Gruppe, die ganz unter dem Einfluss Sorels stand und sich „revolutionäre Syndikalisten“ nannte, forderte die gesamte Arbeiterklasse auf sich in Kampfgewerkschaften zu organisieren um der Bourgeoisie den Produktionsprozess zu entreißen, um dann anschließend  einen Gewerkschafts-Sozialismus zu etablieren. Im Jahr 1907 verließen die Syndikalisten die PSI und beschlossen 1912 eine eigene Gewerkschaft zu gründen. Während die Sozialistische Partei eine strikt antimilitärische Linie beibehielt waren die Syndikalisten anfangs in dieser Frage noch zerstritten bis sie 1915 den Eintritt Italiens in den Krieg forderten. Die Anführer der Syndikalisten meldeten sich konsequenterweise nur wenige Tage nach dem Kriegseintritt als Freiwillige für das Militär. Die Annäherung von Syndikalisten und Nationalisten wurde durch den Kriegseintritt gewaltig beschleunigt. Mit dem Mythos vom revolutionären Krieg erreichte die sozialistisch-nationale Synthese in Italien einen neuen Höhepunkt. Am Ende des Krieges berief sich der revolutionäre Syndikalismus, der inzwischen zum Nationalsyndikalismus geworden war auf die ideologische Strömung der „Carta del Carnaro“. Neben Aussagen wie „Das Vaterland verleugnet man nicht, man erobert es“ und anderen Details des spä­te­ren faschistischen Systems, enthielt die Carta auch fortschrittlichere Forderungen wie die Gleich­be­rech­ti­gung von Mann und Frau oder eine strik­te Tren­nung von Staat und Kirche.

Unter den italienischen Revolutionären, die nach dem Ersten Weltkrieg das bestehende Regime stürzen wollten, nimmt Benito Mussolini (1883 -1945)  eine zentrale Stellung ein. Während des ersten Weltkrieges übernahm Mussolini die Marxismuskritik von Sorel und entschied sich für einen nationalen Sozialismus um anschließend als Symbolfigur des Faschismus in Italien in die Geschichte einzugehen. In Mussolinis Augen stellte Sorel die wahre Überleitung von Marx zum Syndikalismus dar, und wie der französische Denker sah er in der Gewalt eine historische Notwendigkeit, die einzig wirksame Waffe gegen die herrschende Bourgeoisie. Vor dem ersten Weltkrieg war Mussolini Funktionär der Sozialistischen Partei Italiens, der  im Marxismus „die wissenschaftliche Doktrin der Revolution der Klassen“ sah. Während ihm die Partei den Weg zur Spitze ebnete, während er sich als Führer profilierte, brach Mussolini nach und nach mit den traditionellen Ideen des Sozialismus. So verwarf  sich Mussolini während des Krieges mit dem pazifistischen Antiimperialismus der Sozialisten und äußerte sich zunehmend nationalistisch und kriegsbejahend. Seine Parteifreunde warfen ihm vor, ein von den Westmächten bestochener Verräter des Sozialismus zu sein und schlossen ihn am 25. November 1914 aus der Sozialistischen Partei aus. Um den ehemaligen Herausgeber der Zeitung Avanti! sammelten sich nach dem Krieg seine früheren Genossen des linken Flügels der Sozialistischen Partei, des  revolutionären Syndikalismus sowie die Nationalisten und Futuristen, die einen Condottiere suchten. Mussolini verkörperte für die italienischen Linksdissidenten und Nationalisten den perfekten Anführer. Im März 1919 wurde die Faschistische Partei Italiens gegründet und 1922 ernannte der italienische König  der „starken Mann“ in den Wirren der Nachkriegszeit zum Regierungschef. Am Vorabend der Ernennung Mussolinis zum Regierungschef stellte Camillo Pellizzi das Konzept der großen antimaterialistischen Revolution vor: „Der Faschismus ist die praktische Verneinung des historischen Materialismus und mehr noch die Absage an den demokratischen Individualismus, den Rationalismus der Aufklärung, er proklamiert die Prinzipien der Tradition, der Hierarchie, der Autorität, des persönlichen Opfers für ein historisches Ideal. Er ist die praktische Verkörperung der geistigen und geschichtlichen Persönlichkeit (des Menschen, des Volkes, der Menschheit) im Gegensatz zur Vernunft des abstrakten und empirischen Individualismus der Aufklärung, der Positivisten und Utilitaristen.“

Der Faschismus in Italien war das Ergebnis verschiedener, aber zusammenlaufender Strömungen. Der italienische Faschismus kann  keineswegs mit dem deutschen Nationalsozialismus gleichgesetzt werden, obwohl beide Ideologien, beide Bewegungen und beide Regime Gemeinsamkeiten aufweisen. Ein entscheidender Unterschied ist der biologische Determinismus des deutschen Nationalsozialismus mit der Vernichtung von sechs Millionen Juden in der Konsequenz. Auch wenn manche italienische Faschisten als militante Antisemiten auftraten, so wurden die Rassengesetze in Italien erst 1938 erlassen und in den Kriegsjahren waren Juden in Nizza oder Hochsavoyen unter italienischer Besatzung weit weniger gefährdet als etwa in Marseille unter dem Vichy-Regime. Der deutsche Nationalsozialismus war die Diktatur der Volksgemeinschaft die weder der „Stütze“ des deutschen Militärs noch der deutschen Arbeiter bedurfte, weil beide in ihr aufgingen, soweit sie den Vernichtungskrieg vorbereiteten und ausführten. Der Rassismus ist also keine notwendige Voraussetzung für den Faschismus, er trägt jedoch zum faschistischen Eklektizismus bei.

Georges Sorel schrieb am 16. April 1922 in einem Brief: „Die Faschisten haben nicht ganz unrecht, wenn sie sich auf meine Ansichten berufen, denn ihre Macht zeigt ganz offenbar die Vorzüge der triumphierenden Gewalt.“ Dieser Kult der Gewalt war es der alle Dissidenten von den Futuristen, den Sorelianern bis zu den Nationalisten einte. Die Demokratiefeindlichkeit dieser Kräfte wurzelte  in der Furcht, „dass die Massengesellschaft das hohe Niveau der Kultur erdrücken könnte“. Es waren die Sorelianer in Frankreich und Italien, die Theoretiker des revolutionären Syndikalismus, die mit ihrer neuen und eigenständigen Revision des Marxismus begannen die Geburt der faschistischen Ideologie einzuleiten. Der Antiliberalismus und die Überhöhung der „Nation“ sind treibende Elemente des Faschismus. Von daher sollten aufgeklärte Linke das eigene Bedürfnis nach kollektiver und damit potentiell nationaler Identität reflektieren, denn die Ablehnung des Prinzips Nation ist der immunisierende Faktor gegen die antimarxistische Revision des Sozialismus. Marxismusrevisionisten von Georges Sorel über Pierre-Joseph Proudhon bis Silvio Gesell  (1862 – 1930) liefern noch heute Andockmöglichkeiten zu reaktionärer Ideologie. Die führenden Theoretiker des Faschismus waren ganz überwiegend „rechte Leute von links“, die aus dem revolutionären Syndikalismus hervorgegangen waren. Zeev Sternhell benennt in seinem Buch die Bruchstellen innerhalb der Linken, die dieses „Hinüberwandern“ einiger ihrer Unterströmungen und ihre Verbindung zu rechten reaktionären Elementen ermöglichten.

Im Epilog von „Die Entstehung der faschistischen Ideologie“ schreibt am Ende Zeev Sternhell: „Wenn der Antirationalismus zu einem politischen Werkzeug wird, zu einem Mittel für die Mobilisierung der Massen und zu einer Waffe gegen den Liberalismus, den Marxismus und die Demokratie, wenn er mit einem starken Kulturpessimismus, einem ausgeprägten Kult der Gewalt und der aktivistischen Eliten einhergeht, dann führt er zwangsläufig zu faschistischem Denken.“

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Zeev Sternhell, Mario Sznajder, Maia Asheri: Die Entstehung der faschistischen Ideologie – Von Sorel zu Mussolini – Hamburger Edition 1999 – 409 Seiten

 

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Vom Gründerkrach bis zur Occupy-Bewegung

Regressive Kapitalismuskritik

Die Protestbewegungen „Occupy Wall Street“ oder die globalisierungskritische Vereinigung „Attac“ sind derzeit die Lieblinge der Medien und vermeintlich drauf und dran den Kapitalismus vor dem Bankrott zu retten. Vom Jesuitenschüler Heiner Geissler bis zum FDP Mitglied Max Otte, von Angela Merkel, Sigmar Gabriel bis zur katholischen Kirche, alle „Mächtigen“ lieben die Occupy-Bewegung. Ein Protest den alle lieb haben tut nicht weh, verkürzte, meist personalisierte Kapitalismuskritik, also regressiver Antikapitalismus war ebenfalls das Metier von Gottfried Feder, dem „Wirtschaftsexperten“ der NSDAP. Dass nicht die Banken, sondern die Regierungen mit ihrer massiven Kreditaufnahme bei eben diesen Banken Ursache der aktuellen Schulden- und Eurokrise sind, scheint sich irgendwie bei den „antikapitalistischen Kämpfern“ nicht herumgesprochen zu haben.  Diese Ablenkungsmanöver mit verkürzter Kapitalismuskritik, also der Trennung von „gutem“ und „bösen“ Kapital ist jedoch nicht neu:

Die seit 1850 anhaltende stürmische Entwicklung des Kapitalismus brach 1873 abrupt ab. In Deutschland wurde der  Boom durch Reparationszahlungen Frankreichs und den entstandenen neuen Märkten befördert. Im Jahre 1873 brachen die Finanzmärkte weltweit zusammen. „Ausgangspunkt der Krise von 1873 und der Großen Depression war der Zusammenbruch des Kapitalmarktes für Eisenbahnaktien und die Erschöpfung des Eisenbahnbaus als „Strategischer Leitsektor“, schreibt Georg Fülberth in „G Strich“. Als so genannter „Gründerkrach“ wird der Börsencrash von 1873 bezeichnet, dem eine Überhitzung der Konjunktur durch eine galoppierende Industrialisierung vorausgegangen war. Bereits damals führte die Gründerkrise zu Verschwörungstheorien, welche in erster Linie der angeblich jüdischen Hochfinanz die Schuld an der Krise gaben. Nach der Gründerkrise verstaatlichte Bismarck die Eisenbahnen. Sie waren systemrelevant für das Militär sowie für den Transport von Arbeitskräften und Waren. In dieser Wahrnehmung erfolgte eine Trennung in einerseits das „raffende“ Finanzkapital und in das „schaffende“ Produktionskapital. Diese Trennung mit der entsprechenden Verteufelung des Zinses wurde von Pierre-Joseph Proudhon (1809-65) propagiert und später von Silvio Gesell (1862-1930), den Nationalsozialisten um Gottfried Feder (1883-1941) vielen anderen bis zu vielen aktuellen „Kapitalismuskritikern“ übernommen. Der „gute deutsche“ Fabrikbesitzer wurde während des Gründerkrachs dem „raffenden“, „gierigen“, „jüdischen“ Finanzkapitalisten entgegengestellt.

Zwei Weltkriege eine schwere Depression 1929 (an der für viele der damaligen „Wirtschaftsexperten“ die Juden schuld waren) und einige „Wirtschaftwunder“ folgten. Nach den gigantischen Zerstörungen des 2. Weltkrieges setzte ein exorbitanter Nachkriegsboom ein. In diesem fordistischen Nachkriegsboom, vor allem das „Wirtschaftswunder“ Deutschlands in den 1950er Jahren sei hier erwähnt, wurden bis in die 1970er Jahre Massen von Arbeitskräften benötigt um Massen von Waren herzustellen, welche die Arbeiter und Angestellten durch Vollbeschäftigung mit ihren Löhnen tatsächlich kaufen konnten. Nach der Sättigung der Märkte, einhergehend mit dem tendenziellen Fall der Profitrate und damit verbundenen  ungeheuren Rationalisierungsmaßnahmen wurden immer weniger Menschen gebraucht um die Waren zu produzieren, die immer weniger Leute kaufen wollten oder konnten. Die Arbeitslosigkeit stieg 1980 in Deutschland von  0,9 Millionen auf 3,3 Millionen im Jahre 1995. Ein Schulbeispiel für eine Überakkumulationskrise, nach Karl Marx.

Zeitgleich zwangen die Ölkrise und der Vietnamkrieg die finanziell angeschlagenen USA 1973 zur Kündigung von Bretton-Woods, der Goldeinlösegarantie des Dollars. Durch den Zusammenbruch des Währungssystems von Bretton Woods  begann eine neue Periode in der Geschichte des Kapitalismus.  Der realökonomische Widerspruch konnte durch Konjunkturprogramme, Staatsinterventionen und keynesianische Regulation nicht verhindert werden.  Erst die zunehmende Liberalisierung der Finanzmärkte unter Ronald Reagean und später Gerhard Schröder und die monetaristische Politik der Neoliberalen boten eine Scheinlösung, einen Aufschub.  Das Kapital, das in der Realwirtschaft keine rentable Anlagemöglichkeit mehr fand, konnte in den Bereich des fiktiven Kapitals ausweichen. Die Krise wurde aufgeschoben, und der Neoliberalismus wurde zum weltweiten Programm. Anfang der 1980er Jahre setzten die großen Schuldenkrisen in den Entwicklungsländern ein. 1987 kam es zu einem erneuten Börsencrash. Anfang der neunziger Jahre gerieten die USA und Japan in eine Immobilien- und Bankenkrise. 1992 kam das Europäische Währungssystem ins Wanken. Währungs- und Wirtschaftskrisen gab es 1994/ 95 in Mexiko, 1997/98 in Asien, 1998 in Russland und 1999 in Lateinamerika. 2000 begann der weltweite Börsenkrach, darauf folgten der amerikanische Immobilienboom und die jetzigen Schuldenkrisen der „wohlhabenden“ Industrieländer.  Im ständigen Platzen der Finanzblasen wird nichts anderes sichtbar als das verdrängte und kumulierte Krisenpotential von vier Jahrzehnten. Die gigantische Finanzblasen, die gigantischen Schuldenberge der Staaten sind nicht Ursache, sondern Wirkung der Krise des Fordismus, die einen qualitativen Einbruch in der kapitalistischen Geschichte markiert.

Immer mehr Geld strömte also seit den 1980er Jahren in die Finanzmärkte, aber wohin sollte es denn sonst strömen? Die mit spekulativen Finanzoperationen erzielten Gewinne waren und sind längst ein wichtiger Posten im Haushalt von Privatleuten, Staaten und Unternehmen. Ohne diese Gewinne an den Finanzmärkten wären die Weltwirtschaft und die Produktionswirtschaft längst zusammengebrochen. Der spekulative Finanzsektor alimentiert den immer unrentabler werdenden Bereich der Produktion, der spekulative Sektor generiert für die Produktion dringendst nötiges frisches Geld. Finanzspekulationen sind heute mehr denn je nicht mehr von den ökönomischen Vorgängen in der Produktion und in der Dienstleistung zu trennen. Würde man die Spekulation verbieten, funktionierte die Weltwirtschaft und die Produktionswirtschaft längst nicht mehr. „Die periodisch anschwellende Spekulantenhetze im Namen der gerade wunderbaren „Marktwirtschaft“ und ihrer „Arbeitsplätze“ lässt schon längst wieder Töne hören, die an die antisemitischen Ausbrüche von 1873 und 1929 erinnern, während die vorgeschlagenen Maßnahmen (etwa die Besteuerung von Spekulationsgewinne) von lächerlicher Harmlosigkeit zeugen. Es wird völlig verdrängt, dass die Ära der kasinokapitalistischen Spekulationsexzesse das Resultat eines endogenen Prozesses ist, in dem sich das warenproduzierende System mit seiner Grundzumutung der „Arbeitsmärkte“ endgültig selber ad absurdum geführt hat“, schreibt Robert Kurz in seinem Buch „Schwarzbuch Kapitalismus“. Die aktuelle Euro und Schuldenkrise hat offensichtlich nur sekundär etwas mit den Banken zu tun. Deutschland als Exportweltmeister will seine Waren im Ausland verkaufen. Griechenland, die entsprechenden Euroländer, die USA, sowie die Schwellenländer kauften ihre deutschen Waren auf Kredit. Die diversen Banken gaben die Kredite, damit Deutschland seine Waren verkaufen konnte. Deutschland konnte seine Waren auf dem Weltmarkt so gut verkaufen, weil die Reallöhne in Deutschland im Vergleich zu den Euroländern relativ gering sind.

Die aktuellen Wirtschaftskrisen zeichnen sich also dadurch aus, dass massenhaftes Elend mit einem Überangebot an Waren einhergeht. Der offensichtliche Widerspruch zwischen Überangebot und mangelnder Nachfrage ist die Erscheinungsform des entscheidenden Problems, der Überakkumulation von Kapital. Akkumulation ist laut Karl Marx die Rückverwandlung von Profit (Mehrwert) in Kapital, also die Reinvestition  von Gewinnen. Der Begriff Überakkumulation bezeichnet eine Situation, in der die durch fortgesetzte Akkumulation aufgehäuften Kapitalmassen zu groß geworden sind, um noch ausreichende Profite abzuwerfen. Die Akkumulation der Profite führt zu einem Punkt, an dem sie selbst zum Hindernis für die Erzielung von ausreichenden Profiten wird. Krisen entstehen dieser Theorie zufolge aus einem zu viel an Kapital. Die Folge ist eine Tendenz zu Überproduktion, Arbeitslosigkeit, Armut und Schuldenkrisen von Staaten und Menschen. Besteht mit sinkenden produktiven Verwertungsmöglichkeiten ein Überfluss an Kapital, so wir dies auf die Bahn der Abenteuer gedrängt: Spekulation, Kreditschwindel, Aktienschwindel (MEW23/261) sind die Folgen.

Ein großer dritter Weltkrieg mit einem Zerstörungspotential des zweiten Weltkrieges könnte den Kapitalismus zweifellos für weitere dreißig bis fünfzig Jahre retten, da es vermutlich wieder einen Aufbauboom geben würde. Humaner wäre eine grundlegende Währungsreform, damit es vielleicht wieder zwanzig Jahre so weitergehen könnte. Gegen eine Finanztransaktionssteuer oder eine Entflechtung der Großbanken ist zwar wenig einzuwenden, die Weltwirtschaftkrisen oder die Schuldenkrisen der Länder werden allerdings  dadurch nicht verhindert. Die Welt und viele in ihr lebenden einfältigen Menschen brauchen immer wieder Sündenböcke, wer eignete sich dafür besser als die vermeintlich „jüdischen Wucherer“ oder das internationale Finanzkapital? „Unser Schicksal hängt am globalen Lotteriespiel eines Systems, das ohne fiktives Kapital keinen Tag länger die Realproduktion gewährleisten könnte. Nicht die Gier einzelner Menschen ist die Ursache kapitalistischen Gewinnstrebens, sondern das systemimmanente und -notwendige kapitalistische Gewinnstreben fördert Gier und bestraft Solidarität“, schreibt Lothar Galow-Bergemann in Konkret 12/08. Ursache und Wirkung verwechseln offensichtlich nicht nur die katholischen Pfaffen, was Karl Marx bereits 1867 wusste, Kausalität ist aber auch ein schwieriges Fremdwort.

Quellen: Georg Fülberth: Sieben Anstrengungen, den vorläufigen Endsieg des Kapitalismus zu begreifen – Stefan Frank: Die Weltvernichtungsmaschine – Georg Fülberth: G Strich – Robert Kurz: Schwarzbuch Kapitalismus – Max Otte: Die Krise hält sich nicht an Regeln – Karl Marx: Das Kapital 1-3 – Michael Heinrich: Kritik der politischen Ökonomie – Alfred Müller: Die Marxsche Konjunkturtheorie

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