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Kurt Landauer und der FC Bayern München

FC-BayernMit 9:2 besiegte Bayern München am Wochenende den HSV, weshalb zur 23. Deutschen Meisterschaft sieben Spieltage vor Schluss nur noch zwei Punkte fehlen. Der Rekordmeister, Rekordpokalsieger, viermalige Gewinner der höchsten europäischen Trophäe und zweimalige Weltpokalsieger, der FC Bayern München wird dieses Jahr der früheste Meister aller Zeiten werden. Bayern München ist einer der erfolgreichsten Fußballvereine der Welt und in Deutschland das Maß aller Fußball-Dinge.

Trotzdem oder gerade deswegen ist Bayern München der meistgehasste Verein in Deutschland, was nicht unbedingt nur mit Neid zu tun haben muss. Beschimpfungen gegen den „Judenclub“ FC Bayern kamen nicht nur vom Lokalrivalen 1860, dessen Fans das Lied der Bayern vom „Stern des Südens“ in das Lied vom “Stern im Ausweis” umwandelten. Viele deutsche Fußballfans sind der Ansicht, dass die Erfolge der Bayern erkauft und nicht erkämpft wären. Viele Bayerngegner sind der Auffassung, dass der „Bonzenclub“ den übrigen  „antikapitalistischen“ Vereinen die Spieler weg kauft ohne die Kicker ernsthaft einzusetzen zu wollen. Die „Toten Hosen“ fragen sich in ihrem berühmten Partysong: „Was für Eltern muss man haben um so verdorben zu sein, einen Vertrag zu unterschreiben bei diesem Scheissverein? Wir würden nie zum F.C.Bayern München gehen! – Niemals zu den Bayern gehen!“ Es sind gerade die unfairen Polemiken, die an den Haaren herbeigezogenen Vorurteile, das doppelte Maß, es ist der bundesweite Hass gegen den FC Bayern, die den seit seiner Gründung weltoffenen und liberalen Ausnahmeverein mit seiner  progressiven Geschichte und seiner modernen, dominanten Spielweise zum Sympathieträger machen:

Beim MTV München hatten die konservativen und reaktionären Turner das Sagen und so kam es unweigerlich zur Rebellion der andersdenkenden Fußballer um Franz John und Josef Pollack.  Am 27. Februar 1900 verließen elf fest entschlossene Fußballer im Gasthaus „Bäckerhöfl“ eine Sitzung der Fußballabteilung des MTV München um am gleichen Abend im Restaurant „Gisela“ in Schwabing unter der Mithilfe der „Freiburger Paten“ um Gus Manning den FC Bayern München zu gründen. Mit 17 Jahren trat 1901 Kurt Landauer diesem FC Bayern bei, der bis zum Jahr 1933 die prägende Figur des Vereins werden sollte. Seine Eltern waren die wohlhabenden jüdischen Kaufmannseheleute Otto und Hulda Landauer. Die großbürgerliche Familie Landauer war bildungs-, kunst- und kulturbeflissen, dachte standesbewusst und politisch liberal und man pflegte rege Kontakte zu Künstlern und Literaten. In Deutschland, wo nie eine richtige bürgerliche Revolution stattgefunden hatte, wo Juden als Verursacher der Aktienmarktkrise von 1873 denunziert wurden war ein jüdischer Präsident eines Fußballvereins keine Selbstverständlichkeit. In Münchens Verwaltung sowie in der  Öffentlichkeit grassierte schon sehr früh eine antisemitische Stimmung und bereits 1920 wurden Hunderte von Juden aus München vertrieben. Beim FC Bayern waren Juden und Ausländer dagegen willkommen und so wurde Kurt Landauer 1913 Präsident des FC Bayern. Kurt Landauer entwickelte eine moderne Vereinsstruktur mit internationalen Fußballmaßstäben. Er sah die Notwendigkeit einer Jugendarbeit und installierte mit Otto Albert Beer einen Koordinator für diesen Bereich. Otto Albert Beer wurde 1941 nach Litauen deportiert und dort, wie seine Frau und seine beiden Söhne ermordet.

fcb-3Nach dem Ersten Weltkrieg und nach der Zerschlagung der Münchner Räterepublik nahm der Antisemitismus  vor allem in München an Fahrt auf, was jedoch die Politik der Münchner Bayern kaum beeinflusste.  Während Agitatoren wie Eugen Dühring, Paul Lagarde und Wilhelm Marr den Juden ihr „Undeutschsein“ vorwarfen, sie als von Natur aus fremde Elemente bezeichneten, leistete sich Bayern München in den Weimarer Jahren nicht nur einen jüdischen Präsidenten, sondern auch gleich vier jüdische Trainer. Als andere Vereine Turnvater Jahn und das Deutschtum huldigten, praktizierte Kurt Landauer seinen Internationalismus in dem er, im Gegensatz zu anderen deutschen Vereinen, Spiele gegen internationale Mannschaften organisierte. Keine der vielen internationalen Begegnungen war so nachhaltig wie der Besuch des MTK Budapest in München. Der MTK wurde von 1905 bis 1940 von Albert Brüll geführt, der später wegen seiner jüdischen Herkunft in Auschwitz ermordet wurde. Mit dem MTK begrüßten die Bayern die  damals wohl  beste kontinentaleuropäische Fußballmannschaft. Die Hälfte des MTK-Kaders bestand aus Juden und ihr „Donaufußball“ war ein moderner Gegenentwurf zum englischen „Kick-and-Rush“. Mit 7:1 gewannen die Budapester gegen die Bayern und ganz München schwärmte von Kertész und dem fußballerischen Gegenentwurf aus Ungarn. Die Bayern waren vom Spiel des MTK überwältigt und verpflichteten in den folgenden Jahren eine Reihe von ungarisch-österreichischen Trainern, die alle Juden waren. Vier Tage nach dem Spiel in München war auch in Ungarn das rätekommunistische Experiment gescheitert und wie in München wurde auch in Budapest das Ende der Räterepublik von einem antisemitischen Furor begleitet. An der ungarischen Räterepublik waren viele Juden beteiligt und als Verlierer des ersten Weltkrieges musste Ungarn Gebiete abtreten und wie in Deutschland machte man die Juden dafür verantwortlich. Etwa 3000 ungarische Juden wurden Opfer des „weißen Terrors“ und so verließen viele jüdische Fußballer des MTK das Land in Richtung Österreich und Deutschland.

fcb-41930 verpflichtete Kurt Landauer den österreichisch-ungarischen-jüdischen Coach Richard „Little Dombi“ Kohn. Mit dem damals teuersten und bekanntesten Trainer auf dem Kontinent gelang nach einigen vergeblichen Anläufen 1932 die erste Deutsche Meisterschaft. Im letzten Meisterschaftsfinale vor der nationalsozialistischen Machtübernahme standen sich zwei Vereine gegenüber, in denen Juden eine wichtige Rolle spielten und die deshalb verächtlich als Judenclubs bezeichnet wurden, den FC Bayern München sowie die Eintracht aus Frankfurt, deren Hauptmäzen die von jüdischen Besitzern geführte Schuhfabrik  J.& C.A. Schneider war. Im Endspiel am 12. Juni 1932 in Nürnberg vor 55.000 Zuschauern besiegten die „Rothosen“ Frankfurt mit 2:0. Die Abwehr um Kapitän Conny Heidkamp und Sigmund Haringer ließ kaum Tormöglichkeiten für die Frankfurter zu und die Tore für die Bayern erzielten Oskar Rohr per Elfmeter und Franz Kumm. Der attraktive Fußball der Münchner war erfolgreich und so stand im Jahr 1932 der FC Bayern vor einer großen sportlichen Zukunft. „Doch den Nazis, die einige Monate später an die Macht kamen, galt der FC Bayern als „Judenklub“. Gemeinsam mit willfährigen Helfern im DFB machten sie sich daran, eine liberale und weltoffene Fußballkutur zu zerschlagen“, so Dietrich Schulze-Marmeling.

Mit der nationalsozialistischen Machtübernahme begann sofort der sportliche Abstieg des FC Bayern. Der DFB unter Präsident Felix Linnemann, dem großen Gegenspieler von Kurt Landauer, nutzte die „Zeitenwende“ und zementierte unter anderem den verlogenen Amateurstatus. Die jüdischen Funktionsträger und Mitglieder in den Vereinen wurden verfolgt und vertrieben. Viele jüdische Mitglieder des FC Bayern München wurden von den Nazis in Auschwitz ermordet. Meistertrainer Richard Dombi verließ wie Oskar Rohr umgehend Deutschland. Richard Dombi ging in die Niederlande, wo er mit Feyenoord Rotterdam 1936 und 1938 Meister wurde und den Krieg überlebte. 1932 verlor Kurt Landauer wegen seiner jüdischen Herkunft seine Arbeitsstelle bei den Münchener Neuesten Nachrichten. Im März 1933 musste er als Bayern-Präsident zurücktreten. Während der Reichspogromnacht 1938 wurden in München ungefähr 1.000 männliche Juden verhaftet, ins KZ Dachau verschleppt und dort verprügelt, gequält und gedemütigt. Unter den Verhafteten befand sich auch Kurt Landauer, den die Nazis aus der Wäschefirma Rosa Klauber abholten und in die Baracke Nummer acht sperrten. Kurt Landauer gelang nach seiner Freilassung die Flucht in die Schweiz, dorthin, wo auch sein bereits 1934 verstorbener Freund Walther Bensemann Zuflucht gefunden hatte. In Genf lebten bereits Angehörige der Familie Klauber, die Landauer bei der Einwanderung halfen. Anders als im DFB oder anderen Vereinen gab es beim FC Bayern Menschen die versuchten den Klub auf größtmögliche Distanz zum Nazi-Regime zu halten. So wurde der überzeugte Nationalsozialist Josef Sauter erst 1943 Präsident bei den Bayern. Bevor Bayern München am  7. November 1943 in Zürich gastierte,  wurden die wehrmachtsfähigen Spieler ins Sicherheitsamt befohlen und ihnen verboten mit deutschen Emigranten Kontakt aufzunehmen. Die Mannschaft ließ es sich trotzdem nicht nehmen, ihrem langjährigen Präsidenten auf dem Platz zuzuwinken, wofür einige Spieler später mit Repressalien oder einem Fronteinsatz bestraft wurden.

Kurt Landauer überlebte den Zweiten Weltkrieg im Schweizer Exil, vier seiner Geschwister fielen jedoch den Nazis zum Opfer. Kurt Landauers Geschwister Dr. Paul, Franz und Leo wurden von den Nazis ermordet. Paul wurde im November 1941 in den Osten deportiert. Mit etwa 1.000 anderen Juden wurde er am 25. November 1941 in Litauen von Angehörigen der Einsatzgruppe A erschossen. Franz Landauer kam 1943 im KZ Westerbork ums Leben. Leo Landauer, der 1939 nach Berlin gezogen war kam in Majdanek um. Gabriele Landauer, verheiratete Rosenthal, wurde am 4. April 1942 nach Piaski deportiert und gilt seither als verschollen. Außer Kurt überlebte nur noch eine weitere Schwester namens Henny den Nazi-Terror. Henny Landauer hatte 1919 den Rechtsanwalt Dr. Julius Siegel geheiratet. 1934 emigrierte das Paar nach Palästina. Zuvor hatte die SA Julius Siegel, nachdem sich dieser für einen vom Regime bedrängten Bürger eingesetzt hatte, mit abgeschnittenen Hosenbeinen und einem Schild mit der Aufschrift „Ich bin Jude und will mich nicht gegen die Polizei beschweren“ durch die Straßen gejagt. Henny Landauer-Siegel starb 1973 in Israel. Ihr Sohn Uri kehrte Mitte der 1950er Jahre nach München zurück, wo er in die Fußstapfen seines Vaters trat und als Rechtsanwalt arbeitete. 1947 kehrte Kurt Landauer nach München zurück und „baute“ den FC Bayern wieder auf, bis 1951 war er Präsident bei den Bayern. Am 21. Dezember 1961 starb Kurt Landauer. Er liegt auf dem Neuen Israelitischen Friedhof begraben.

Dietrich Schulze-Marmeling schreibt in „Der FC Bayern und seine Juden: „Ohne die Jahre des Nationalsozialismus hätte der Aufstieg des heutigen Rekordmeisters zum Branchenführer des deutschen Profifußballs möglicherweise deutlich eher begonnen. Zumindest aber hätte der FC Bayern auf seinen zweiten nationalen Meistertitel nicht bis 1969 warten müssen, also 37 lange Jahre. Obwohl die Nazi-Periode zunächst einmal die weitgehende Zerstörung seiner liberalen Fußballkultur bedeutete, lässt sich beim FC Bayern doch deutlicher als bei vielen anderen Klubs ein roter Faden der Geschichte ausmachen. Je intensiver man sich mit der Zeit vor 1933 beschäftigt, desto augenscheinlicher werden die Übereinstimmungen des FC Bayern der Ära Kurt Landauer mit dem heutigen Klub. Der FC Bayern der Jahre 1900 bis 1933, zumal der Jahre 1919 bis 1933, war von seinem Denken her nicht so viel anders als der moderne FC Bayern. Die Identität des heutigen FC Bayern wurde zu Teilen bereits von Kurt Landauer geprägt. Unter dem »bayerischen Urgestein« Landauer wurde der FC Bayern ein »Volksverein«, blieb aber vornehm und bewahrte sich einen Rest an »Anderssein«. Der FC Bayern avancierte zu einer modernen und treibenden Kraft im deutschen Fußball. Eine Tradition, die spätestens mit dem Manager Uli Hoeneß wieder aufgenommen wurde. Es sind die Jahre 1933 bis 1945, und in sportlicher Hinsicht noch die sich anschließende Zeit bis 1963, bis zur Einführung der Bundesliga, die aus dem Rahmen fallen.“

In der Bilanz für die Jahre 1933 bis 1945 belegte Bayern München nur den 81. Platz, während der Lokalrivale 1860 München durch Anpassung an die braunen Verhältnisse den 26. Platz erreichte. Vom nationalsozialistischen Machtwechsel profitierten vor allem die „Arbeitervereine“ wie  Schalke 04. Nach dem Krieg bis zur Einführung der Bundesliga dominierten die Westvereine aus dem proletarischen schwerindustrielen Milieu. Auch die Nazis hatten ein Faible für diese Klubs, die in der Regel „judenfrei“ waren. Im Juni 1933 wurde Schalke 04 von Vereinsführer Unkel, und seinem Stellvertreter Heinrich Tschenscher, NSDAP-Mitglied seit dem 1. Mai 1933, geführt. Die Schalke Spieler Ernst Kuzorra und Fritz Szepan ließen sich für direkte Unterstützungsaktionen der NSDAP einspannen. Durch die Übernahme eines jüdischen Textilhauses am Schalker Markt im Zuge der “Arisierung” wird Szepan zudem zum Profiteur des NS-Regimes. Die enteigneten Eigentümer Sally Meyer und Julie Lichtmann werden deportiert und in Riga ermordet. So ist es ist kein Zufall, dass Schalke 04 in der Zeit von 1933 bis 1944 neun Mal in den zwölf Endspielen um die deutsche Meisterschaft stand und dabei sechs Mal Deutscher Meister wurde.

Erst in den 1960er Jahren, mit dem Auftreten einer neuen Generation wird Bayern München wieder an alte Zeiten anknüpfen können. Mit einer Mannschaft junger Talente steigt der FC Bayern 1965 in die Bundesliga auf. Franz Beckenbauer sowie Gerd Müller sind 19 Jahre alt und Sepp Maier, die „Katze von Anzing“ war  damals 21-jährig. Beckenbauer und die Bayern waren die Exponenten eines neuen Trends. Befreit vom Amateurgedanken erlebt der deutsche Fußball in dieser Zeit einen liberalen Aufbruch. Die Nationalmannschaft wird von Helmut Schön übernommen, der sich als junger Mann einem Beitritt zur NSDAP und SS widersetzt hat und der eine lebenslange Freundschaft mit Ignaz Bubis pflegte. Die kurze Zeit von 1972 bis Anfang 1974, als mehr Demokratie gewagt werden sollte,  spielte sogar die deutsche Nationalmannschaft fortschrittlichen Fußball.

fcb-1Die Verantwortlichen des FC Bayern tabuisierten lange Zeit ihre ehrenvolle Geschichte. Erst im Juli 2009 legt der Klub am Fundament von Dachau-Block acht, Stube vier, wo Landauer 33 Tage verbringen musste, einen in den Klubfarben geschmückten Kranz  nieder. Der Bayern-Fanklub „Schickeria München“ bemüht sich bereits seit 2002 die positive Rolle der Bayern während des Nationalsozialismus herauszuarbeiten. An Pfingsten 2006 veranstalten die „Ultras“ ihr erstes antirassistisches Fußballturnier um den Kurt-Landauer-Pokal. Beim Spiel der Bayern in Stuttgart am 27.1.2013 erinnerten die Fans des FC Bayern auf der ehemaligen Adolf-Hitler-Kampfbahn mit einer gelungenen Choreographie an den jüdischen Trainer Richard „Dombi“ Kohn und den Jahrestag der Befreiung von Auschwitz. Im Rahmen des Filmprojektes „Kick it like Kurt“ würdigte Uli Hoeneß den Präsidenten und Menschen Kurt Landauer. „Kick it like Kurt“, ein 53-minütiger Dokumentarfilm wurde am 6. Juni 2010 im Jüdischen Gemeindezentrum am Jakobsplatz München uraufgeführt. Der Neffe Kurt Landauers Uri Siegel, der jüdische Sportverein TSV Maccabi München, der Bayern Fanclub Schickeria Ultras und der Initiative „Löwen-Fans gegen Rechts“ kommen im Film zu Wort. Der Film ist ein Plädoyer für die demokratischen Werte, denen sich Kurt Landauer verpflichtet fühlte: Toleranz, Fairness und Kosmopolitismus.

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Quellen: Dietrich Schulze-Marmeling  – Der FC Bayern und seine Juden: Aufstieg und Zerschlagung einer liberalen Fußballkultur – 272 Seiten – April 2011 | Dietrich Schulze-Marmeling Hg.- Davidstern und Lederball: Die Geschichte der Juden im deutschen und internationalen Fußball – 350 Seiten – April 2003 | Dietrich Schulze-Marmeling – Die Bayern. Die Geschichte des deutschen Rekordmeisters – 672 Seiten – November 2006

Erstveröffentlichung in Mission Impossible

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Béla Guttmann und die Offensive

belaDer ungarische Jude, österreichische Fußballprofi und Tanzlehrer Béla Guttmann, geboren am 27. Januar 1899 in Budapest hat den modernen Offensivfußball mehr geprägt als alle anderen Fußballtrainer dieser Welt. In sechs Jahrzehnten als Fußballspieler und Trainer war Guttmann in 13 Ländern Europas, Nord- und Südamerikas für 24 verschiedene Vereine sowie drei Nationalteams tätig. Auf dem Höhepunkt seiner Trainerkarriere triumphierte der Entdecker von Eusébio mit Benfica Lissabon zweimal hintereinander in den Jahren 1961 und 1962 im Europapokal der Landesmeister. In den jeweiligen Endspielen wurden Barcelona und Real Madrid in mitreißenden Spielen mit begeisterndem Angriffsfußball besiegt und die Vorherrschaft des spanischen Fußballs insbesondere Real Madrids durchbrochen.

Fußballspielen lernte Béla Guttmann beim MTK Budapest, wo er von 1919 bis 1921 spielte. 1922 wechselte er zu Hakoah Wien. Mit Hakoah (Kraft) wurde er 1925 österreichischer Meister. Nachdem Guttmann in die USA wechselte, bei den New York Giants spielte, dort Hakoah Turniere organisierte kehrte er als Spielertrainer 1933 zu Hakoah Wien zurück. Auf Vermittlung von Hugo Meisl trat Guttmann seine erste Trainerstelle beim holländischen Club Twente Enschede an. Ab 1938 lebte Guttmann wieder in Österreich, er floh nach dem Anschluss an Nazideutschland nach Budapest und wurde 1939 Trainer bei Ujpest Dosza und gewann dort die Meisterschaft und den Pokal. Von 1939 bis zum Kriegsende, ständig auf der Flucht vor den Schergen Hitlers, tauchte er bis Kriegsende unter. Nach dem 2. Weltkrieg wurde er Trainer bei Vasas Budapest und wieder Ujpest Dosza. 1949 verließ Guttmann Ungarn und ging nach Italien. Erstes Engagement bei Padova Calcio, das er von einer kaum erstligareifen Mannschaft an die Spitze der Tabelle führt. Nach weiteren Trainerstationen, darunter der AC Mailand bei dem er kurz vor der Meisterschaft entlassen wurde, wechselte er 1959 zum FC Porto wo ihm auf Anhieb die portugiesische Meisterschaft gelang. In der darauffolgenden Saison wurde Béla Guttmann Trainer von Benfica Lissabon und abermals portugiesischer Meister. Am 31. Mai 1961 gewann Benfica das Europapokalfinale gegen den FC Barcelona mit 3:2. Am 2. Mai 1962 wiederholte Benfica Lissabon den Erfolg gegen den fünfmaligen Europacupsieger Real Madrid und siegte mit 5:3 Toren. Guttmann tritt zurück und wird Trainer von Penarol Montevideo, er scheitert mit dem Versuch, die Copa Libertadores gegen Peles FC Santos zu gewinnen. Die Zeit der Erfolge war nun vorbei. Erfolglose Engagements unter anderem bei Servette Genf, FC Porto, Austria Wien, der österreichischen Nationalmannschaft, Panathinaikos Athen und wiederum Benfica Lissabon nachfolgten. 1973 erklärte Béla Guttmann seine Trainerlaufbahn für beendet. Am 28. August 1981 stirbt die Trainerlegende und wird auf dem jüdischen Teil des Zentralfriedhofs in Wien begraben.

Nach dem ersten Weltkrieg entwickelte sich der Fußball zum attraktiveren Zuschauersport, gleichzeitig wurde das Amateurideal in Mitteleuropa großgehalten. Während der britische Fußball bereits vom Professionalismus geprägt war, bezahlten viele Vereine auf dem europäischen Festland ihre Spieler „unter der Hand“. Der Amateurstatus war vielfach ein  Scheinamateurismus.  Die Auslandsreisen vieler Vereine waren Teil einer komplizierten Finanzierungsstrategie. Alles in einer Zeit in der die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse sehr unübersichtlich waren. Die Fußballbürokratien mit den verschiedenen Amateurstatuten und Spielberechtigungen waren dem Chaos nach dem Krieg noch weniger gewachsen als die staatlichen. In diese Zeit fällt der Wechsel von Béla Guttmann zu Hakoah Wien.

Hakoah war mehr als ein Verein, Hakoah war ein zionistisches, ein nationaljüdisches Projekt, das noch in der Vorkriegszeit von jüdischen Studenten gegründet wurde. Wien war eine Einwandererstadt vor allem für Juden. Nach dem Zusammenbruch der Donaumonarchie kam es in den neuen Nationalstaaten zu verschärften Nationalitätenkämpfen mit antijüdischen Pogromen und Vertreibungen. Das selbstbewusste politische Judentum organisierte sich zionistisch. Hugo Meisl, der fußballerische Stratege der österreichischen Amateure, verkörperte in seiner Mischung aus Anglophilie und Kosmopolitismus den liberalen bürgerlichen Geist, der sich am gesellschaftlichen Fortschritt orientierte. Wien hatte Mitte der zwanziger Jahre als Fußballstadt Prag und Budapest den Rang abgelaufen und um diese Stellung zu halten, musste man dem Scheinamateurismus ein Ende setzen. Unter der Federführung von Hugo Meisl hat Österreich als erstes kontinentaleuropäisches Land eine Profiliga eingeführt. Der aufstrebende jüdische Verein hatte sich die professionelle Fußballabteilung geleistet, um in der Wiener Gesellschaft auf die eigenständige jüdische Nationalkultur aufmerksam zu machen, was viele antisemitische Anfeindungen mit sich brachte. In der Meistermannschaft von Hakoah spielten neben Béla Guttmann fünf weitere jüdische Spieler, die in Budapest das Fußballspielen gelernt haben.  In der Hakoahmannschaft wurde der junge Guttmann zum unumstrittenen Star. Seine Mitspieler aus Budapest garantierten, dass sich die beim MTK gewohnte Spielweise weiterentwickeln konnte. Im 2-3-5-System, spielte Guttmann als Mittelläufer die zentrale Position. Er hielt die Verbindung zwischen Angriff und Abwehr, musste verteidigen und nach vorne verteilen. An ihn wurden universale fußballerische Ansprüche gestellt, hervorragende Technik, überlegene Spielübersicht und überragende Kondition. Béla Guttmann wurde 1924/25 mit Hakoah Wien und unter Kapitän Maxl Scheuer, der später von den Nationalsozialisten ermordet wurde, der erste Champion der Wiener Profiliga. Mit dem zionistischen Fußballverein Hakoah Wien erlebte Béla Guttmann seinen größten sportlichen Erfolg als Spieler.

Seine größten Erfolge als Trainer feierte der Tanzlehrer aus Budapest zweifellos bei Benfica Lissabon. Zuvor, im Jahre 1956, schloss sich Guttmann der Exil-Mannschaft von Honvéd Budapest an. Das Team um Ferenc Puskás war nach dem Ungarn-Aufstand im Oktober 1956 nicht mehr von einer Auslandsreise zurückgekehrt. Auf eine Südamerikatournee, die Guttmann als Trainer betreute, ging es auch nach Brasilien. Während das Team im Februar 1957 nach Europa zurückreiste und sich dort auflöste, blieb Guttmann in Brasilien und wurde Coach des FC São Paulo und führte dort sein neues 4:2:4 –System ein. Das angriffsbetonte und kreative Guttmann-System wurde sogleich von der brasilianischen Nationalelf übernommen, worauf Brasilien 1958 zum ersten Male in Schweden Fußballweltmeister wurde. 1959 wechselte Béla Guttmann nach Portugal, erst zum FC Porto und ein Jahr später zu Benfica Lissabon. Mit beiden Mannschaften errang er jeweils den portugiesischen Meistertitel mit seinem neuartigen Offensivfußball. Detlev Clausen schreibt in „Die Nerven nicht verlieren“: „Dreiundzwanzig Minuten alt war das Europapokalfinale von Amsterdam am 2. Mai 1962, und Trainer Béla Guttmann lag mit der jungen Mannschaft von Benfica Lissabon gegen Real Madrid mit 0:2 zurück, trotz hervorragenden Spiels. Denn nicht die Wundermannschaft der fünfziger Jahre, die fünfmal in Folge den Europacup gewonnen hatte, bestimmte das Tempo, sondern die ständig angreifenden Portugiesen. Aber Real-Star Ferenc Puskás hatte bei Kontern zweimal eiskalt seine Chance genutzt und den spanischen Meister in Führung gebracht. Wie sollte der Außenseiter aus Lissabon diesen Rückstand gegen eine solche Mannschaft jemals aufholen? Im Mittelfeld der Madrilenen dirigierte ruhig und gekonnt der argentinische Weltstar Alfredo di Stefano die Konterattacken; auf dem Flügel lauerte Gento, schnellster Außenstürmer der Welt, der schon mal einer ganzen Hintermannschaft einfach mit dem Ball am Fuß davonlaufen konnte. Doch Benfica griff unentwegt weiter an und schoss aus allen Lagen. Das war die Handschrift von Trainer Béla Guttmann — unerschrockene Offensive, unermüdlicher Einsatz, ständige Torgefährlichkeit. Eine Spielweise, die sich ein Trainer nicht kurzfristig als Konzept für ein beliebiges Spiel ausdenken kann, und schon gar nicht lässt sich eine solche Taktik unvorbereitet auf eine Mannschaft übertragen, in der man nicht selbst mitspielt. Dahinter steckt vielmehr die Summe einer fußballerischen Erfahrung, die ein Trainer einem Team, das er über längere Zeit geformt hat, vermitteln kann.“

Das Finale von 1962 in Amsterdam gilt bis heute als eines der besten in der Geschichte des europäischen Fußballs. Real Madrid wurde von Guttmanns Benfica förmlich überrollt. Benfica drehte in der zweiten Halbzeit das Spiel und wandelte den 0:2 und 2:3 Rückstand in einen 5:3 Sieg um. Auch im Berner Europacupfinale gegen den FC Barcelona von 1961 lag Béla Guttmann mit Benfica im Rückstand, bis Benfica am Ende mit 3:2 triumphierte. Barcelona galt als eine der wenigen europäischen Vereinsmannschaften, die sich mit Real Madrid vergleichen durften. Benfica Lissabon dagegen war 1961 eine Elf der Namenlosen. Ihr bekanntester Mann war bis dahin der Trainer Béla Guttmann. Den Afrikaner aus Mosambik, den besten Spieler in der Fußballgeschichte Portugals, Eusebio entdeckte Guttmann, der die „Schwarze Perle“ mit den langen Beine, hängenden Schultern und dem traurigen Blick förderte wo er konnte. Guttmann verließ Benfica Lissabon 1962 im Zorn noch vor dem stattfindenden Pokalfinale.

Die Faszination, die von einem Trainer wie Guttmann ausgeht, hängt mit der Vereinigung von Schönheit und Erfolg zusammen. Die Entscheidung für Offensive erfordert Mut, denn strukturell liegen Defensive und Erfolg im Fußball näher beieinander. Schwierig ist es, Tore zu erzielen, leichter ist es, sie zu verhindern. Die Defensive wird deshalb auch vom Außenseiter bevorzugt. Wenn aber der vermeintlich Schwächere die Offensive wählt und auch noch gewinnt, dann erringt er nicht nur Anerkennung, sondern auch die Herzen der Fußballfreunde. Das Trainerleben Béla Guttmanns liest sich wie ein wiederholter, systematisch geplanter Aufstand gegen die tödliche Herrschaft des Defensivfußballs. Diese Aufstände konnten nur gelingen, weil der Fußball selbst die Gegenkräfte gegen die Herrschaft der Defensive hervorbringt.

Die Spuren der gescheiterten Engagements von Béla Guttmann sind verwischt, im Gedächtnis bleiben die Ausnahmesituationen: Die einzigartige Meisterschaft der jüdischen Hakoah in Österreich, das Spiel Brasiliens 1958 und die beiden triumphalen Endspiele von Benfica Lissabon 1961 und 1962.

Detlev Claussen schreibt am Ende seines Buches: “Fußball lebt von der Gegenwart des gespielten Augenblicks. Mit jedem Anstoß keimt die Hoffnung auf, dass etwas anderes eintreten wird als das Erwartete. Deswegen zieht der Fußball auch Kräfte an, die vom Spiel etwas anderes erwarten als die Bestätigung der etablierten Ordnung. Die Professionalisierung des Spiels hat es ermöglicht, dass immer mehr mitspielen können, die am Anfang nicht dazugehörten — Arbeiter, Juden, Immigranten, Abkömmlinge von Sklaven. Für sie ist der Fußball mehr als die wichtigste Nebensache der Welt; er verspricht ein anderes Leben. Der lebenslange Emigrant Béla Guttmann hat einen geschärften Blick entwickelt für das Potential der Außenseiter, das Etablierte ins Wanken zu bringen.“

Quelle:
Detlev Claussen „Béla Guttmann – Weltgeschichte des Fußballs in einer Person“  – 2006

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